Über „On the Road“

  • Gregor Weichbrodt
  • ·
  • 2014-11-06

Man untersucht in der Disziplin des Kommunikationsdesign, die ich die letzten vier Jahre studiert habe, u.a. die Narrative einer Erzählung und macht sich diese zu eigen. Im Falle von „On the Road“ habe ich das mit der Figur und Geschichte des Globetrotters Sal Paradise getan, der auf einen Selbsterfahrungstrip geht und quer durch Amerika unterschiedliche Orte bereist.

  • On the Road
  • Gregor Weichbrodt
  • 2014
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Ich erinnere mich daran, wie ein Freund mir einmal Fotos von seiner letzten Südamerika-Reise zeigte. Er zeigte und erklärte, wo sich etwas befand, wie er dort hingekommen war und wem er dort begegnet ist. Diese Prozedur zog sich circa eine Stunde hin und ich war am Ende zu Tode gelangweilt. Ich konnte es ihm nicht sagen, aber er muss am Ende gemerkt haben, dass die Begeisterung nur schwer von mir Besitz ergriff hatte. Ich schaltete später den Laptop ein und sah: Instagram- und Facebook-Alben von Leuten, die ihre Reisen von Ankunft bis Abflug ihres Drei-Wochen-Paradieses dokumentieren. Jeder mit einer Handykamera ausgestattet, dokumentiert, teilt und kommentiert die Geschehnisse während der Reise. Die Erfahrung scheint längst keine einzelne Erfahrung des Sal Paradise mehr zu sein – die romantische Vorstellung des Globetrotters ist antiquiert.

Auch deshalb, weil die Technik, mit der wir reisen, die Reise selber rational erfahrbar macht. Da jede Statusmeldung den Ort des Verfasser im Hintergrund protokolliert, lassen sich die Reisen unserer Online-Freunde auf einer Weltkarte auf Facebook im Nachhinein nachvollziehen (natürlich nur, sofern der GPS-Tracker in ihren Smartphones eingeschaltet bleibt). Von Punkt A zu Punkt B zu Punkt X in Südamerika.

Das im Hinterkopf wollte ich die Punkte, die Jack Kerouac in seinem Roman „On the Road“ bereist hat, ausfindig machen. Also googelte ich sie. Kerouac-Fans hatten bereits ganze Arbeit geleistet und die Punkte auf Google Maps eingetragen. Ich sammelte diese Stationen und ließ sie mit Hilfe des Routenplaners von Google Maps verarbeiten. Für den Normaluser ist das über das Webinterface von Google nur für maximal acht Wegpunkte möglich. Also schrieb ich ein Script, das mir für die etwa 140 Reisepunkte am Ende eine zusammenhängende Wegbeschreibung lieferte.
Das Ergebnis war ein circa 55 Seiten langer Routenplan, inklusive Angaben zur Reisedauer, Maut-Strecken oder Hinweise darüber, wo sich Baustellen befinden. Auf einmal wurde ein zweites Narrativ sichtbar: das des Navigationssystem. Ein Gerät, das dazu entworfen wurde, eine Art menschlichen Kapitän zu simulieren, dessen Anweisungen wir befolgen, wenn wir uns auf fremden Terrain bewegen.

Der Text wurde von Kenneth Goldsmith und Hans-Ulrich Obrist in die Ausstellung “Poetry will be made by all” in Zürich aufgenommen. Unter einem Artikel im Guardian, der dem Projekt gewidmet war, schrieb ein Kommentator: “You couldn’t have another Kerouac today.” Die Zeiten, in denen sich der junge Sal Paradise während seines Selbsterfahrungstrips zu verlaufen im Stande ist, sind vorbei. Die angemessene Erzählfigur eines Kerouacs von heute ist die GPS-Routenplanung. Es sei denn, man hat kein Smartphone. Oder zu viel Meskalin intus.